Urs Tillmanns, 30. November 2024, 10:00 Uhr

Buchtipp: Brigitte Lustenberger: «An Apparition of Memory»

Blumen einmal anders fotografiert. Aber eigentlich geht es in dem neuen Bildband von Brigitte Lustenberger weniger um die Blumen selbst als vielmehr um deren Zerfallsprozess und die neuen, eigenartigen Strukturen und Formen, die dabei entstehen.

Blumen sind etwas Vergängliches – und genau diese Vergänglichkeit fasziniert Brigitte Lustenberger. Durch den Alterungsprozess entstehen neue Strukturen oder bestehende werden verstärkt, besonders typisch bei der alternden Haut zu sehen oder bei Pflanzen, die gepflückt und damit ihrer Lebensader entzogen werden. Genau diese Wandlung hat Brigitte Lustenberger bewogen, sich diesem Prozess intensiver zu widmen – zu studieren, wie sich die Pflanzen während der Trocknung verändern und welche neuen, morbiden Formen und Strukturen dabei entstehen. Sie hat mit einer speziellen Technik, mit salz- und kalkhaltigem Wasser, die Blumen auf alten Diagläsern fixiert, um sie dann zu fotografieren. Damit werden die einst so vergänglichen Wesen unvergänglich und dauerhaft und erscheinen in einer neuen spirituellen und symbolischen Dimension.

Für Brigitte Lustenberger ist dieser Prozess des Alterns wichtig, dieses Zerfallen, welches sie mit ihrer Technik auf halbem Weg stoppt und mit Hilfe der Fotografie den neuen Zustand festhält. Sie will uns diese Veränderung zeigen und uns mit ihren ungewohnten Bildern dafür begeistern. Aus den einst fragilen Wesen sind gefestigte Strukturen geworden, Strukturen, die jetzt überlebensgross und seitenfüllend im Buch erscheinen. Lustenberger hat mit diesem Prozess für uns die Zeit angehalten und so «die Schönheit und Zerbrechlichkeit des Lebens bewahren zu können», wie sie sagt. «Meine prozessorientierte Arbeit reflektiert die Fragilität des ökologischen Gleichgewichts unseres Planeten, stellt unseren Begriff der Vergänglichkeit in Frage, zeigt aber auch poetisch die Schönheit und Zärtlichkeit von Welken und Verfall.»

Brigitte Lustenberger hat mit ihren Bildern eine neue Sprache der Blumenfotografie gefunden, in der einst dreidimensionale Objekte zu neuen zweidimensionalen Strukturen geworden sind. Es ist eine subtile, ja fast spirituelle Fotografie mit zarten und nuancierten Farben, auf ein mattes Papier gedruckt, das die Bilder aquarellartig erscheinen lässt. Man ist nicht nur von den Farben und den Tonalitäten gefesselt, sondern man geht bei der Betrachtung zwangsläufig auf Details ein, auf die feinen Adern der Kronblätter und die eigenartigen Formen der Staubblätter. Erreicht wird dieser Effekt durch eine besondere Beleuchtungstechnik, die Lustenberger anwendet, mit Durchlicht und einer subtilen Aufhellung; eine an sich ungewohnte Art Blumen zu fotografieren, aber eine, die den gewollten Durchscheineffekt bewirkt, der die verwelkten Blumen zum Leuchten bringt.

Auf den ersten, flüchtigen Blick mögen die knapp hundert Bilder verschiedener Blüten im Buch als viel und sich wiederholend erscheinen. Je mehr man sich jedoch mit der Arbeit auseinandersetzt, desto spannender und faszinierender wird der Inhalt des Buches. Jede Seite ist eine neue Überraschung, mal erscheinen die Blumen in etwa natürlicher Grösse, mal sind sie übergross auf einer Doppelseite abgebildet. Diese gestalterischen Variationen tragen ebenso zu einem spannenden Ablauf bei, wie die Gruppierung von Aufnahmen, die zusammenpassen und sich durch differenzierte Farbtöne in der Abfolge abwechseln.

Begleitet werden die Bilder von vier Essays der bekannten Kuratorinnen Nathalie Herschdorfer, Danaé Panchaud, Chiara Agradi und Yuri Mitsuda, welche in ihren Texten verschiedene Aspekte von Lustenbergers Projektarbeit hervorheben und erklären. Sie gehen auf die Philosophie der Arbeit ein und sinnieren über die Andersartigkeit und die Abstraktion von Lustenbergers Blumenfotografie. Die Texte sind durchgehend auf Englisch, Französisch und Deutsch verfasst, derjenige von Yuri Mitsuda zusätzlich noch auf Japanisch.

Für wen ist dieses Buch? Für Leute, die sich von einer neuen Art der Blumenfotografie und von neuen, ungewohnten Strukturen der Blüten und ihrer melancholischen Ästhetik faszinieren lassen. Leute, die den Prozess der Vergänglichkeit studieren und die Philosophie des Alterns am Beispiel von Blüten verfolgen wollen. Brigitte Lustenberger hat eine neue Bildsprache der Blumenfotografie gefunden und zeigt uns diese als «eine Erscheinung der Erinnerung».

Urs Tillmanns

 

Buchbeschreibung des Verlages

Die Schönheit des Verschwindens

In diesem magischen Bildband erforscht Brigitte Lustenberger das Vergehen der Zeit, die Erinnerung und die Fragilität des Lebens. Auf Diaglas getrocknete Blumen verwandelt sie in filigrane Fotografien. Lustenberger zelebriert die Schönheit des Vergehens und führt uns so in eine faszinierende Welt von verwelkten Blumen. Die Bilder zeigen die unglaublichen Details der raffinierten Konstruktionen der Natur. Die Künstlerin schafft es dabei, sowohl das Flüchtige einer Lichtzeichnung als auch das Bewahrende einer Fotografie zu vereinen.

Vier Essays von renommierten Kuratorinnen geben Einblick in die prozessorientierte Arbeitsweise der Künstlerin, die Verflechtung der analogen und digitalen Technologie dieser Arbeit und betten An Apparition of Memory in die westliche und japanische Foto- und Kunstgeschichte ein.

 

Der Inhalt

Inhaltsverzeichnis

Blumenfotografie ex situ – Nathalie Herschdorfer

 

Im umgekehrten Garten von Brigitte Lustenberger:
Geschichten von Kalk, Salz, Licht und Staub – Danaé Panchaud

 

An Apparition of Memory. Das fragile Gleichgewicht alles Lebenden – Chiara Agradi

 

Eindrücke von An Apparition of Memory – Yuri Mitsuda

Index
Biografien
Impressum

 

Die Fotografin

Brigitte Lustenberger (*1969, Zürich) studierte Wahrnehmungs- und Fotogeschichte an der Universität Zürich und Fine Art Photography an der Parsons The New School of Design in New York. Sie erforscht das Wesen des Mediums Fotografie und seine enge Verbindung zu Themen wie Verfall, Erinnerung und Tod und arbeitet u. a. mit Gross- und Mittelformatkameras, Scannern, iPhones, Überkopf- und Diaprojektoren. Ihre Arbeiten sind vielfach ausgezeichnet und werden international ausgestellt. Sie lebt in Bern.

 

Die Autorinnen

Chiara Agradi ist Kuratorin bei der Cartier-Stiftung für zeitgenössische Kunst in Paris. Sie beschäftigt sich mit der Polaroid-Fotografie in Italien, sowie mit den Schnittstellen von Fotografie, Feminismus und visueller Poesie. Ferner befasst sie sich mit der künstlerischen Programmgestaltung des Giuseppe Loy Fotografie-Archivs in Rom und kuratierte die Fotografie-Sektion der Artgenève 2021.

Nathalie Herschdorfer ist Direktorin von Photo Elysee, Lausanne und als Kuratorin auf die Geschichte der Fotografie spezialisiert. Sie kuratierte Ausstellungen über Henri Cartier-Bresson, Stanley Kubrick, Vik Muniz, Alex Prager, Viviane Sassen, Hiroshi Sugimoto und Andy Warhol und leistet einen aktiven Beitrag zur zeitgenössischen Fotografie an der Hochschule für Kunst und Design Lausanne (ECAU).

Yuri Mitsuda ist Direktorin des Art Archives Center an der Tama Art University und Professorin im Aufbaustudiengang der Tama Art University in Tokio. Sie arbeitet auch als Kuratorin und Kritikerin und ist die Autorin des Buches «Words and Things: Jira Takamatsu and Japanese Art». Sie arbeitete an der Ausstellung «For a New World to Come: Experiments in Japanese Art and Phorography» (2015) mit.

Danae Panchaud ist eine Schweizer Kuratorin, Museologin und Dozentin mit dem Schwerpunkt Fotografie. Nach vier Jahren an der Spitze des Photoforum Pasquart ist sie derzeit Direktorin des Centre de la photographie in Genf. Zuvor war sie in verschiedenen Funktionen in Schweizer Museen tätig und unterrichtete an der Schule für Fotografie in Vevey.

 

Der Gestalter

Brian Paul Lamotte ist ein unabhängiger Grafikdesigner und Pädagoge mit Spezialisierung auf Kunst- und Fotografiebücher. Seine prozessorientierte Praxis basiert auf enger Zusammenarbeit mit Künstlern, Redakteuren und Druckern und betont oft haptische Qualitäten des Drucks durch den Einsatz spezialisierter Materialien und Produktions-techniken. Er hat Bücher und Projekte für die Aperture Foundation, Edition Patrick Frey, Fondation Louis Vuitton, MAST Foundation, MoMA (NYC), Rizzoli und SPBH Editions gestaltet und produziert. Derzeit lehrt er an der Hochschule Luzern – Design & Kunst (HSLU) und an der Nuova Accademia di Belle Arti (NABA) in Mailand.

 

Bibliografie

Brigitte Lustenberger: «An Apparition of Memory»

216 Seiten mit 93 Fotos, Fadenheftung, Freirückenbroschur und Schutzumschlag, Format 22,4 x 30 cm, November 2023
Texte von: Chiara Agradi, Nathalie Herschdorfer, Yuri Mitsuda, Danaé Panchaud
Gestaltung Brian Paul Lamotte, Brigitte Lustenberger
Sprachen: Englisch, Französisch, Deutsch, (Japanisch)
Hatje Cantz Verlag, Berlin
Preis: CHF 83.00 / EUR 83,00
ISBN 978-3-7757-5548-1

Das Buch kann im Buchhandel gekauft, bei der Autorin direkt oder beim Verlag bestellt werden.

 

 

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