Urs Tillmanns, 18. Januar 2025, 09:45 Uhr

Buchtipp: Barbara Brändli «Die Heimat in der Fremde»

Barbara Brändli und ihr fotografisches Schaffen sind nur Wenigen bekannt. Jetzt ist eine Retrospektive zu ihrem Lebenswerk in Buchform erschienen, in der ihr spannendes Leben, die Zeit in Südamerika und ihre Buchpublikationen vorgestellt werden. Zudem gibt es eine Ausstellung zum Thema.

Sie ist eine der fast vergessenen Schweizer Fotografinnen. Fast vergessen, weil sie sich zunächst beruflich für das Ballett engagierte und die Fotografie erst mit 25 für sich entdeckte. Dann heiratete sie den venezolanischen Architekten Augusto Tobito, brachte noch in der Schweiz ihre Tochter Kardydi zur Welt und emigrierte zwei Jahre danach nach Venezuela. Hier, in einem völlig anderen Kulturkreis und ohne die Sprache zu können, entdeckte sie ihr grosses Wirkungsfeld, wobei im Vordergrund ihre ethnologischen Forschungen standen – die Fotografie bleibt vorerst Mittel zum Zweck, respektive zur Dokumentation.

Das Bildschaffen der Schweizerin wird im europäischen Raum erst allmählich entdeckt, nachdem sie in Venezuela bereits verschiedene Bücher publiziert und Ausstellungen bespielt hatte. Die Zeitschrift «Du» bringt im April 1964 ihre Bildstrecke «Ballett in Caracas», zwei Jahre danach sind ihre Bilder auf einer Tanzausstellung in Basel zu sehen, dann kann ihr Schaffen 1968 auf einer Ausstellung in Los Angeles bewundert werden … und so wird Barbara Brändli immer bekannter, ihre Bilder immer beliebter, bis man sie beispielsweise 1987 im «Geo Magazine» oder im Jahr 2000 mit der Ausstellung «La Brega – Alltag in den Anden» der Schweizerischen Stiftung für Photographie wiederfindet. Barbara Brändlis grosses Verdienst ist es, dass sie uns mit ihren Bildern aus Venezuela und ihrem Zugang zu den dortigen «pueblos originarios» einen Eindruck von der Lebensweise der indigenen Volkstämme vermittelte, mit Fotografien, die aussergewöhnlich waren und deshalb in der westlichen Kultur sehr gut ankamen.

Das Buch widerspiegelt ihr Lebenswerk, wobei der Schwerpunkt auf Brändlis Publikationen liegt. Die verschiedenen Kapitel gewähren mit rund 470 Abbildungen einen sehr breiten Einblick in die Bücher von Barbara Brändli, die längst vergriffen und zu den bibliophilen Fotoraritäten gehören – vor allem «Sistema nervioso» (1975), das kaum noch zu finden ist.

Weiter erhalten wir im Kapitel «Der andere Blick auf das Fremde» eine von Barbara Fatzer hervorragend recherchierte Biografie über Barbara Brändli, die das Leben der Schweizerin, ihr Engagement für den kreativen Tanz und die Fotografie sehr gut nachzeichnet. Dazu gehören auch ihre Beschreibung der Expeditionen in den wüstenreichen Süden Venezuelas, wo sie zusammen mit dem Anthropologen Daniel Barandiarán im Urwaldgebiet des Amazonas auf ethnische Minderheiten stösst, Urvölker, die sie sehr beeindruckten, was zu ihrem Buch «Los Hijos de la Luna» führt und ihren fotografischen Stil weiter prägt. Nur die persönlichen Notizen im Nachlass von Barbara Brändli könnten noch mehre über diese begabte Fotografin verraten, die sich noch immer unausgewertet in einem Archiv in Caracas befinden.

Im Kapitel «Die Kamera als Instrument der Empathie, Bücher als Strategie gegen das Vergessen» des Fotohistorikers und Herausgebers Fritz Franz Vogel erfahren wir mehr über Brändlis fotografisches Schaffen, ihre Arbeitsweise und über die Künstlerszene, in der sie sich bewegte – besonders während ihrer Pariserzeit, wo sie die Magnum Photos-Laborantin Ata Kandó kennenlernt und sich mit ihr befreundet. Vogel vermittelt uns in seinem ausführlichen Text viel über die Zusammenarbeit der beiden Fotografinnen und vertieft sich auch in der Entstehungsgeschichte der verschiedenen Publikationen, die in der Folge von Barbara Brändli erscheinen.

Für wen ist dieses Buch? Es ist als Retrospektive zu Barbara Brändlis Lebenswerk gedacht, genauso wie die Ausstellung, die leider nur für kurze Zeit (09.01. bis 09.02.2025, siehe Hinweis) in Diessenhofen zu sehen ist. Das Buch gibt einen repräsentativen Eindruck über das Schaffen der weitgehend unbekannten Schweizer Fotografin und dürfte in den Buchregalen von Fotohistorikern ebenso seinen Platz finden wie bei den Liebhabern südamerikanischer Kulturen.

Urs Tillmanns

 

Buchbeschreibung des Verlages

Die Thurgauer Pfarrerstochter und Balletttänzerin Barbara Brändli (1932-2011) wanderte nach einer kreativen Inkubationszeit in Paris wischen 1951 und 1959, nach Venezuela aus und fasste dort als etnografische Fotografin Fuss. Sie publizierte in Caracas mehrere Bücher, so über den freien Tanz («Duraciones visuales», 1963) oder über die im Süden Venezuelas leben den Indios (Los hijos de la lina. Monografla antropologica sobre los Indios Sanema-Yanoama», 1974). Das exklusive Buch «Sistema nervioso» (1975) über die sich im Umbruch befindliche Hauptstadt Caracas ist in mehreren wichtigen Übersichten zur Fotobuchgeschichte notiert, doch kaum einer hat es je gesehen, weil es mittlerweile zu den teuersten Fotobüchern zählt. Es ist eine Art fotografisches road rnovie das bezüglich Schnitttechnik und Buchkonzept dank der innovativen Handschrift von John Lange sehr eigenwillig daherkommt.

In dieser ersten deutschsprachigen Monografie wird der Versuch unternommen. alle (erreichbaren) Bücher Brändlis in einen fotobuchhistorischen Kontext zu stellen und nebst der eigenen Produktion auch das Umfeld der Fotografien abzutasten und ihre Lehrjahre und bildpolitischen Referenz kennenzulernen. Dieser ästhetische Werdegang, die fotografisch orientierte Sehschule, spielt sich weitgehend in ein paar wenigen Jahren in Paris der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre ab. Die Ausstellung zeigt die Originalbücher von ihr, aber auch die damaligen Publikationen ihrer Mentoren Ata Kandó und Ed van der Elsken.

 

Der Inhalt

Titelei, Impressum

Der andere Blick auf das Fremde – Barbara Fatzer
Vor der Kamera, hinter der Kamera / Das Leben im Urwald / Respektvolle Annäherung / Weizenanbau auf 3000 Meter Höhe / La Brega Diaria / «Meine Mühle in Basadingen» / Der andere Blick auf das Fremde /

Daniel de Barandiarán / Aushi Walam, der transparente Mensch / Augusto Tobito de Acevedo / La Casa Andina / Die alte Mühle am Geisslibach

Biografie von Barbara Brändli

Die Kamera als Instrument der Empathie, Bücher als Strategie gegen das Vergessen – Fritz Franz Vogel
Tanz der Metropole / Vor der Kamera, hinter der Kamera / Bibliophile Ursprünge / En weibliches Pendant / Fotografisches Neuland in Venezuela

«Duraciones visuales» (1963)

 

«Cornelis Zitman, Caracas, Sculptures» (1971)

 

«Los hijos de la luna» (1974)

 

«Sistema nervioso» (1975)

 

«Asi, con las manos …» (1979)

 

«Loa páramos se van quedando solos» (1982)

Bibliografie

Zu den Herausgebern

 

Die Fotografin

Barbara Brändli (* 21. November 1932 in Schaffhausen; † Dezember 2011 in Caracas) zog als 19-Jährige nach Paris und studierte dort klassisches Ballett. Anfang der 1960er-Jahre wanderte sie nach mit ihrem Mann, dem Architekten  Augusto Tobito nach Venezuela aus und fasste dort als Fotografin Fuss. Sie publizierte mehrere Bücher, so über den freien Tanz («Duraciones visuales», 1963) oder über die im Süden Venezuelas lebenden Indios («Los hijos de la luna. Monografía antropológica sobre los Indios Sanemá-Yanoama», 1974). Das exklusive Buch «Sistema nervioso» (1975) über die sich im Umbruch befindliche Hauptstadt Caracas ist in allen wichtigen Übersichten zur Fotobuchgeschichte notiert und zählt zu den seltensten Fotobüchern. Ihre erste Ausstellung fand 1962 im «Museo de Bellas Artes» in Caracas statt. 1968 wurde sie von der Universität von Los Angeles engagiert, um ihre Forschungen über die Yanomami-Gemeinschaft fortzusetzen und ihre Fotografien an der Universität auszustellen. Ihre Fotografien wurden in zahlreichen Zeitschriften publiziert u. a. in Geo, Du und im französischen Photo Magazine.

 

Die Autorenschaft

Barbara Fatzer, geboren 1948 in Frauenfeld. Studium der Germanistik und der Kunstgeschichte an der Universität Zürich. 1978 bis 1984 Aufenthalte in Dar es Salaam (Tansania) und Ebolowa (Südkamerun). Seit 1984 als freie Journalistin im Kulturbereich tätig. 2001 bis 2011 Redaktorin und Öffentlichkeitsbeauftragte beim Amt für Archäologie Thurgau. Seit 1996 Führerin im Kunstmuseum Thurgau.

Fritz Franz Vogel, geboren 1957 in Luzern, Schulen in Emmenbrücke und lmmensee. Studien an den Universitäten Fribourg (Heilpädagogik) und Zürich (Kunstgeschichte), sowie an der Zürcher Hochschule der Künste. Er arbeitet als Kulturwissenschaftler, Kunst- und Fotohistoriker, Verleger und Kurator sowie als Buchproduzent (Gestaltung, Druckvorstufe und Herausgeberschaft). Er lebt und arbeitet in Diessenhofen.

Buchvernissage am nächsten Sonntag

Am kommenden Sonntag, 19. Januar 2025 beginnt um 14:00 Uhr die Buchvernissage und Ausstellung in der
Tigerfinklifabrik, Steinerstrasse 16, CH-8253 Diessenhofen.
Um 14:15 Uhr ist ein «Diskursives Pingpong in drei Sätzen» zwischen
Heiner Matzinger (Wiederentdecker des Werks) und Fritz Franz Vogel (Fotohistoriker, Verleger) angesagt. Dabei kommt viel Wissenswertes über die Ethno-Fotografin Barbara Brändli zum Ausdruck. Die gleichzeitig eröffnende Ausstellung dauert bis 9. Februar 2025 und ist jeweils Donnerstag bis Sonntag von 14:00 bis 18:00 Uhr zu sehen.

 

Bibliografie

Barbara Fatzer / Fritz Franz Vogel: «Barbara Brändli. Die Heimat in der Fremde –
ein ethno- und fotografisches Vermächtnis in Büchern»

192 Seiten, ca 473 Abbildungen, Fadenheftung, Hardcover, Format 30 x 21 cm, Gewicht 1690 g, Januar 2025
Texte von Barbara Fatzer und Fritz Franz Vogel
Edition ABCDEFGHJIKLMNOPQRSTUVWXYZ, Diessenhofen
Preis: CHF 48.00 / EUR 48,00

ISBN 978-3-03858-527-5

Das Buch kann im Buchhandel erworben oder direkt beim Verlag per E-Mail bestellt werden.

 

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