Peter Schäublin, 12. Februar 2025, 12:00 Uhr

100 Jahre Leica: Ein Rundgang durch die heiligen Hallen

Leica feiert dieses Jahr ihr hundertjähriges Jubiläum. Im Vorfeld dieser Festlichkeiten hatte wir Gelegenheit, die Produktion der Leica-Objektive in Wetzlar zu besichtigen. Dabei sind viele interessante Aspekte zur Sprache gekommen. Hier ein ausführlicher Bericht.

Alles im Leica Headquarter in Wetzlar atmet die Geschichte der Fotografie: Fotojournalistinnen und -journalisten haben mit Produkten der Marke mit dem roten Punkt entscheidende Momente in der Geschichte festgehalten. Und dieses Jahr feiert Leica ihr 100-jähriges Bestehen. Die Geschichte begann allerdings schon vor 1925, als Oskar Barnack im Jahr 1914 eine «Miniaturkamera» mit dem Bildformat von 36 x 2 mm entwickelte. Um das viel kleinere Filmformat im Vergleich zu den damals üblichen Grossformatkameras zu kompensieren, investierte Leica in die Qualität der Objektive. Und bis heute ist die Qualität der Leica-Objektive unbestritten.

Nachdem Oskar Barnack  1914 die Ur-Leica konstruiert hatte, wurde 1925 die «Leica 1» vorgestellt  (Pressefotos Leica)

 

100 Jahre Leica

Vor hundert Jahren, auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1925, wurde die erste Leica öffentlich vorgestellt. Auf einen Schlag war Leica (das Wort ist eine Kombination von Leitz und Camera) im Kamerabereich Technologie- und Marktführer, jedoch nicht ohne Mitbewerber: 1936 wurde die erste Kleinbild-Spiegelreflexkamera, die «Kine Exakta», der Firma Ihagee aus Dresden, auf der Leipziger Frühjahrsmesse präsentiert. Damit erhielt das Messsucherkamera-Konzept ernsthafte Konkurrenz, und die verkauften Stückzahlen dieser Kamerakonstruktion nahmen rapide ab. Dann drängten in den 1950er-Jahre preisgünstige Messsucherkameras aus Japan auf den deutschen Markt. Leica tat sich auch schwer mit dem Einstieg in die Spiegelreflexwelt: Erst 1964 präsentierte die Firma die Leicaflex. Und dann gewährte Leica dem japanischen Kamerahersteller Minolta Zugriff auf das Autofokuspatent, was diesem einen Wettbewerbsvorteil verschaffte. Noch schwieriger wurde es mit dem Start der Digitalfotografie: Wegen des geringeren Auflagemasses war es viel herausfordernder, die Leica-M-Kameras ins digitale Zeitalter zu bringen, ohne den Aufbau und das ikonische Design zu verändern.

Diese Entwicklung brachte Leica anfangs 2000 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, und ohne das beherzte Eingreifen von Dr. Andreas Kaufmann gäbe es das traditionsreiche Unternehmen ziemlich sicher nicht mehr. Er erwarb die Aktienmehrheit und verpasste der Firma eine Rosskur: Innerhalb von wenigen Jahren holte die Firma ihren Technologierückstand auf, und dank geschickten Allianzen, die Dr. Kaufmann schmiedete, kann die Firma auch als Nischenplayer modernste Technologie in ihre Kameras einbauen.

 

Der Leitz-Park in Wetzlar ist der Hauptsitz des Unternehmens. Hier befindet sich auch die Objektivproduktion (Pressefoto Leica)

Ohne dass ich in die internen Abläufe Einblick hatte und habe, gehe ich davon aus, dass Dr. Kaufmann die neue Strategie von Leica massgeblich prägte: Die Firma blühte auf, und der Name Leica entwickelte sich wieder zu einem Synonym für Top-Qualität und herausragende Lösungen. Die Messsucher-Kameralinie – die Leica M – ist imagemässig nach wie vor das Aushängeschild, doch die voll manuell bedienbare Kamera ohne Autofokus ist definitiv nicht jedermanns Sache. Es hätte meines Erachtens die Gefahr bestanden, dass Leica ein marginalisierter Player geblieben wäre, wenn man nur auf die M gesetzt hätte. Doch auch hier handelte Dr. Kaufmann und sein Team visionär: Nebst diversen Kompakt- und Sofortbildmodellen hat Leica im Lauf der letzten Jahre drei weitere Kameralinien lanciert: Die Leica Q – eine kompakte Kamera mit Fixbrennweite, einfachster Bedienung und höchster Bildqualität; die Leica SL – die spiegellose Systemkamera, die höchste Qualität, einfachste Bedienbarkeit und Flexibilität für den harten und vielseitigen Fotografenalltag vereint und die Leica S – das Mittelformatsystem, das bezüglich Aufnahmequalität das Flaggschiff von Leica ist. Von den produzierten Stückzahlen her ist Leica ein Nischenplayer, aber der Name und die Produkte haben bei Foto-Enthusiasten den Stellenwert, den normalerweise ein Marktführer hat.

 

Ein seltener Rundgang durch die Produktion in Wetzlar

Leica gewährt nur selten Einblick in ihre Produktionshallen. Und wenn, dann mit bestimmten Auflagen, was das Betreten gewisser Bereiche und das Fotografieren anbelangt. Dies mit gutem Grund, denn hier ist vieles anders als bei anderen Kameraherstellern, und da und dort entstehen bereits Teile für künftige Produkte.

 

Alles hier atmet Geschichte. Grossformatige Prints, die das Weltgeschehen dokumentieren, zieren die Wände. Im Vordergrund ein Bild von Steve McCurry, einem meiner Lieblingsfotografen.

Jede Person, die ich bei Leica getroffen habe und treffe, erfüllt ihre Aufgabe mit grossem Stolz. Über allem steht der Anspruch, ein Produkt mit höchster Qualität zu bauen. Jeder Produktionsschritt wird zwei- oder dreimal kontrolliert. Was nicht zu 100% einwandfrei ist, geht zurück zum Nachjustieren. Es gibt in Wetzlar keine Stichprobenkontrolle, sondern jede Kamera und jedes Objektiv aus der Fertigung wird kontrolliert. Am Schluss setzt die Person, die die Endprüfung durchgeführt hat, ihren Namen darunter und steht damit für ein einwandfreies Produkt.

Für Aussenstehende mag die Akribie in der Produktion und in der Kontrolle beinahe krankhaft wirken, aber nur so ist gewährleistet, dass jedes Produkt, das die Werkhallen in Wetzlar verlässt, den Ansprüchen von Leica gerecht wird. Die Nerds bei Leica kontrollieren alles doppelt und dreifach und haben dafür meinen grossen Respekt.

Bei Leica arbeitet man mit über 50 Glassorten, um die bestmöglichen Objektive zu bauen. Die Firma geht dafür an die Grenzen des physisch Machbaren und treibt teilweise einen Aufwand, den man fast als irrwitzig bezeichnen kann. So haben wir erfahren, dass es Cine-Objektive von Leica gibt, bei denen das Schleifen einer einzigen Linse – und ein Objektiv hat gut und gerne mal zehn Linsen – auf der CNC-Maschine einen ganzen Tag dauert. Jede Linse wird auf 0,1 Mikrometer, das ist ein Tausendstel Millimeter (!), genau geschliffen und poliert. Diese Präzision ist ein wichtiger Faktor dafür, dass die Leica-Bilder diese hohe plastische Wirkung haben, die Foto-Enthusiasten als «Leica-Look» bezeichnen.

Einige der verwendeten Glassorten sind so empfindlich auf Luft, dass sie nach dem Schleifen schnell oxidieren würden. Deshalb werden die geschliffenen Linsen wenn nötig mit einer Schutzschicht versehen, die dann erst kurz vor dem Vergüten entfernt wird. Nach dem Vergütungsprozess kann das Glas nicht mehr oxidieren. Die Vergütung einer Linse dient also in gewissen Fällen nicht nur der Verbesserung der Abbildungsqualität, sondern auch dem Schutz der Linse. 

Die herausragenden Objektivrechnungen, die extreme Fertigungspräzision, die Wertigkeit der verwendeten Werkstoffe sowohl für die Linsen wie auch für die Objektivgehäuse, die Bereitschaft, bis ans Limit des Machbaren zu gehen und die Kontrolle jedes Objektivs sind in der Summe für die extrem hohe Qualität der Leica-Objektive verantwortlich. Wenn man diesen Prozess einmal gesehen und verstanden hat, kann man nachvollziehen, warum diese Objektive ein ziemlich hohes Preisschild tragen.

 

Ob Grit Thümmler wirklich mein Super-APO-Summicron-SL 1:2/21 ASPH kontrolliert hat?

Kleine Anekdote am Rand: Kurz vor meinem Besuch bei Leica habe ich eine SL-Fixbrennweite gekauft. Diese Objektive werden unter anderem von Grit Thümmler kontrolliert. Wir haben uns etwas länger unterhalten, und ich habe herausgefunden, dass es durchaus sein könnte, dass sie mein Objektiv gecheckt hat, bevor es das Werk verliess. Es war dann eine Kollegin von ihr, aber dass es hier Menschen aus Fleisch und Blut mit einem Namen gibt, die jedes Produkt endkontrollieren, ist zumindest für mich etwas, das der Marke Leica einige Bonuspunkte einbringt ;-).

 

Der Kunde ist König

Weil Leica eine Manufaktur ist, kann man seine Kamera auf Wunsch individualisieren lassen – beispielsweise mit einer Gravur oder einer eigenen Belederung. Wir wär’s zum Beispiel mit einer Individual-Belederung in der Farbe «Vamp»?

 

 

Wie geht es weiter bei Leica?

Nach unserem Testmonat mit der Leica SL3-S im September 2024 haben Christian Habermeier und ich unsere Vorserienkameras persönlich nach Wetzlar zurückgebracht und dabei die Gelegenheit genutzt, um mit einigen Schlüsselpersonen von Leica zu diskutieren, was von der Firma in Zukunft kommen wird. Natürlich ist es nicht so, dass Leica alle Geheimnisse ausplaudert, aber ein paar zusammenfassende Gedanken aus dem Gespräch seien hier vermerkt:

Generell ist das Zusammenspiel von Hard- und Software etwas, dem Leica grosse Beachtung schenkt. Will heissen: Ein Bild ist noch lange nicht fertig, wenn der Sensor die farbigen Pixel abspeichert. Die Aufbereitung der Bilddaten und das Importieren dieser Daten auf den Rechner haben einen Einfluss auf das Bildfile. Auch ein RAW-Bild ist bereits eine Interpretation des aufgenommenen Fotos. Bei Leica macht man sich sehr viele Gedanken, wie dieser Workflow sich in Zukunft verändern könnte und wie man den bekannten Leica-Look auch im digitalen Zeitalter erzeugen kann. Die Software-Möglichkeiten (Stichwort KI) werden immer ausgefeilter und bieten mehr Kombinationsmöglichkeiten mit der Hardware.

Doch beginnen tut der Prozess immer mit dem Objektiv: Als erstes Glied in der Kette spielt es eine massgebliche Rolle. Leica optimiert permanent die Objektivrechnungen, die verwendeten Materialien, die Autofokus-Technologie, die Exaktheit des Produktionsprozesses usw. Das ist nötig, weil die Objektive mit den immer höheren Sensorauflösungen Schritt halten müssen: Denn was nützt ein 60 Mpx-Sensor, wenn das Objektiv «nur» 40 Mpx auflöst? Zudem werden die Anforderungen an den Autofokus immer höher. Nur mit präziser Scharfeinstellung kann man das hohe Vergrösserungspotenzial der neuen Sensoren wirklich ausschöpfen. Die spiegellosen Systeme geben den Leica-Ingenieuren mehr Spielraum im Objektivdesign: Weil wir mit den elektronischen Suchern nie ein wirklich optisch erzeugtes Bild, sondern immer ein bereits elektronisch aufbereitetes Bild sehen, können gewisse Optikkorrekturen auch rechnerisch vorgenommen werden. Dadurch können beispielsweise Objektive mit gleichen Leistungsmerkmalen kompakter gebaut werden. Die Leica M ist ja ebenfalls ein spiegelloses System, denn eine Messsucherkamera zeigt auch nie direkt ein vom Objektiv erzeugtes Bild.

Auch wären weitere Funktionalitäten in der Kamera denkbar. Ein Beispiel ist die von Leica im Jahr 2020 eingeführte Perspektivkorrektur, mit der man direkt in der Kamera die stürzenden Linien korrigieren kann. Der Vorteil ist, dass ich gleich vor Ort sehe, wie viel vom Bild ich durch die Perspektivenkorrektur verliere. Ich weiss, dass Leica sich hier zu weiteren sehr spannenden Funktionalitäten intensive Gedanken macht.

 

Die Entwicklung der vier Linien – Q, M, SL und S – geht permanent weiter

Bei der Q kam vor Kurzem die Version mit dem 43 mm Objektiv auf den Markt, und ich spekuliere, dass irgendwann neue Q-Monochrom-Modelle folgen werden. Bei der M wurde anfangs 2022 die M11 und ein gutes Jahr später die M11 Monochrom präsentiert. Im Internet gibt es wilde Spekulationen, ob die M12 – wann immer sie auch kommt – allenfalls einen Hybridsucher aufweisen wird. Das würde Sinn machen, weil so die Präzision des manuellen Fokussierens für die High-End-Sensoren erhöht werden könnte. «No comment» hiess es dazu in unserem Meeting.

Bei der SL-Linie hat Leica mit der SL3-S beide SL-Modellstränge auf den neuesten Stand gebracht. Gerade die SL3-S zeigt, dass Leica das oft adressierte Problem der Autofokus-Performance erst nimmt und im Griff hat. Die Weiterentwicklung des Autofokus wird auch in Zukunft hohe Priorität haben – sei das über Firmware-Upgrades oder auch mit leistungsfähigeren Prozessoren und AF-Technologien bei der Lancierung neuer Kameramodelle. Des Weiteren zeigt die SL3-S, dass man in Wetzlar das Thema «Filmen mit der DSLM» hoch einstuft. Hier sind diverse Lösungen im Soft- und Hardwarebereich in der Entwicklung, aber es sei noch etwas früh, darüber zu reden. Ich denke, (auch) in diesem Bereich wird uns Leica in nächster Zeit positiv überraschen. Ob es je eine «reine» Filmkamera im oberen Qualitätssegment von Leica geben wird, ist ein Geheimnis. Sony und Canon bieten entsprechende Kameras an, und auch Fujifilm hat eine Filmkamera – notabene für das GFX-System – angekündigt. Abwegig wäre es nicht, wenn sich auch Leica in diesem Bereich etablieren würde, aber das ist lediglich meine ganz persönliche Meinung und Spekulation.

Die Leica S3 wird aktuell nicht mehr produziert. Es sei produktionstechnisch von Anfang an klar gewesen, dass es nur eine limitierte Anzahl S3-Kameras geben würde. Dieses Limit wurde bereits im Lauf des Jahres 2023 erreicht. Es wurde seitens Leica – auch von Dr. Kaufmann selbst – bestätigt, dass man an einem Nachfolgemodell arbeitet. Auch dazu hielten sich die Leica-Verantwortlichen weitestgehend bedeckt. Der Logik folgend behaupte ich jetzt einfach einmal, dass die Kamera den Namen S4 tragen wird, dass es eine spiegellose Kamera mit ungefähr 100 Mpx Auflösung und einem gegenüber der S3 massiv verbesserten Autofokus sein wird. Wünschenswert wäre zudem eine hohe Kompatibilität der S mit den M- und SL-Objektivlinien. Die Aufgabe für die Entwickler der nächsten S-Kamera ist nicht einfach, denn bezüglich Bildqualität hat die S3 die Latte sehr hochgelegt. Aber auch hier traue ich der Marke mit dem roten Punkt zu, dass sie das beinahe Unmögliche möglich macht  – immer und bei allen Kameralinien mit dem Ziel vor Augen, uns auch in Zukunft tolle Instrumente zu liefern, mit denen wir das Licht des Weltgeschehens oder auch ganz des ganz Banalen, nur für uns Wichtigen, perfekt auf den Sensor zeichnen können.

Man liest manchmal, die Bilder, die mit einer Leica gemacht werden, ja sogar die Kameras selbst, hätten eine Seele. Der Blick hinter die Kulissen zeigt, dass auf jeden Fall so viel Herzblut in jede Kamera und jedes Objektiv fliesst, dass es durchaus so sein könnte … 

Text und Bilder Peter Schäublin

Der Artikel wurde in Kooperation mit www.720.ch realisiert.

 

 

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