Kaum jemand, der sich nicht für das Leben der Indianer interessiert. Im Taschen-Verlag ist jetzt ein Bildband erschienen, welcher der wohl grössten und wichtigsten Bildersammlung des Fotografen Edward S. Curtis über die indigenen Völker Nordamerikas gewidmet ist.
Behutsam kreuzt die «Jewel Guard» vor den Küsten Alaskas. Es ist irgendwann im Juni 1927. An Bord ist das Expeditionsteam von Edward S. Curtis, der sich der Erforschung der Inuits, der Bewohner der Inseln und Küsten des Beringermeers, verschrieben hat und dies fotografisch illustrieren will. Curtis hatte sich schon zwanzig Jahre zuvor als Fotograf einen Namen gemacht, als er die wichtigsten Indianerstämme Nordamerikas dokumentiert hatte. Davon handelt dieses Buch. Die Geschichte dieser Expedition, das Leben von Edward S. Curtis und seiner Arbeitsweise als Fotograf liest sich wie ein Roman und bringt Erlebnisse an den Tag, die unsere Vorstellungskraft übersteigen.
Mit seiner fotografischen Forschungsarbeit gehört Curtis zu den wichtigsten amerikanischen Fotografen des 20 Jahrhunderts. Er hat mehr als 40’000 Fotos von indigenen Völkern in drei Jahrzehnten realisiert, dazu mehr als 10’000 Tonaufnahmen in 75 Sprachen aufgenommen, eine Sammlung mit 350 Mythen verschiedener Völker aufgebaut und schliesslich den ersten Film gedreht, der den Alltag und die Riten der amerikanischen indigenen Völker dokumentiert.
Kern seines Nachlasses sind jedoch 20 aufwendig gestaltete, grossformatige Bild- und Textbände, die von 1907 bis 1930 unter dem Titel «The North American Indian, Being a Series of Volumes Picturing and Describing the Indians of the United States and Alaska» erschienen, deren dokumentarischer, künstlerischer und wissenschaftlicher Wert nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Sie bilden den publizistischen Ertrag von Curtis’ Expeditionen, doch wurden seinerzeit davon weniger als 300 Exemplare ausgeliefert. Das vorliegende Buch «Die Indianer Nordamerikas – das komplette Portfolio» enthält die Fotos aller 20 Bände, mit denen Curtis der versinkenden Kultur der indigenen Völker Nordamerikas ein Denkmal gesetzt hat. So ist das Buch ein ethnologisches und fotohistorisches Dokument ersten Ranges.
Curtis musste für seine Arbeit auch die Kritik einstecken, seine Fotografien würden nicht das wahre Gesicht der indigenen Völker zeigen, sondern einer romantischen Vorstellung der weissen Gesellschaft entsprechen, welche zuvor die indigenen Völker ihrer Rechte und Würde beraubt hatte. Mehr als einmal habe der Fotograf bekundet, schreibt Peter Walther in seinem Exposé diesbezüglich, «dass ihm das Unrecht, das die Weissen an den Native Americans begangen haben, stets bewusst war. So muss es nicht verwundern, dass sich auf keinem seiner Bilder etwas erkennen lässt, das geeignet wäre, die Würde der Fotografierten zu verletzen. Im Gegenteil: Sensibilität und Toleranz waren Voraussetzungen, um überhaupt über eine solch lange Zeit aus so grosser Nähe das Leben der indigenen Völker mit der Kamera dokumentieren zu können. Gerade seine grossartigen Porträtarbeiten zeugen von dem Vertrauen, das Curtis bei den Porträtierten genossen haben muss. Es spiegelt sich in ihren würdevollen Gesichtern wider, die für den heutigen Betrachter zur Projektionsfläche für ganze Lebensgeschichten werden.»
Für wen ist dieses Buch? Es ist in erster Linie ein fotohistorisches Dokument, weil es das gesamte Bildmaterial des erwähnten 20-bändigen Buchwerkes von Eadward S. Curtis enthält. Dann ist es für die Liebhaber der Indianergeschichte ein Fundus fantastischer Bilder, die das wahre Leben der Indigenen in Nordamerika zeigen und damit viele unserer Vorstellungen korrigieren.
Urs Tillmanns
Buchbeschreibung des Verlages
Edward Sheriff Curtis (1868–1952) hat sein Leben der selbst gestellten Aufgabe gewidmet, das kulturelle Erbe der indigenen Völker Nordamerikas mit der Kamera zu bewahren. Während drei Jahrzehnten war er in allen Regionen des Kontinents unterwegs, in jedem Terrain und bei jedem Wetter, bei 50 Grad Hitze in der Mojave-Wüste oder 20 Grad Kälte in der Arktis, zu Fuß, mit Pferd, Wagen, Esel, Boot, Zug oder später auch mit dem Auto. Über 40’000 Fotos sind in dieser Zeit entstanden.
Die besten dieser Aufnahmen sind zu seinen Lebzeiten in zwanzig aufwendig gestalteten grossformatigen Bild- und Textbänden unter dem Titel The North American Indian erschienen. Mit dem vorliegenden Band sind die Fotos aller zwanzig Portfolios, mit denen Curtis der versinkenden Kultur der indigenen Völker Nordamerikas ein Denkmal gesetzt hat, nach langer Zeit wieder vollständig verfügbar. Überdies enthält der Band eine Auswahl von Fotos aus den Textbänden.
Ohne Edward S. Curtis wüssten wir heute kaum etwas von den Riten der Hopi im Südwesten, hätten kein Bild von den Wintertänzern der Qagyuhl und keine lebendige Vorstellung von den Zeremonien der Nunivak. Die humanistische Grundbotschaft, die uns aus jedem seiner Bilder entgegenleuchtet, ist keine museale, sondern eine höchst aktuelle: Ein friedliches Miteinander, die Überwindung von Hass und Vorurteilen ist möglich, wenn man bereit ist, in der Begegnung mit dem Fremden stets das Verbindende zu suchen.
Der Inhalt
The Shadowcatcher / Der Schattenfänger / L’Attrapeur d’Ombres – von Peter Walther
Volume 1 | 1903–1907
The Apache / The Jicarillas / The Navajo
Volume 2 | 1903–1907
The Pima / The Papago / The Qahatika / The Mohave / The Yuma / The Maricopa / The Walapai / The Havasupai / The Apache-Mohave, or Yavapai
Volume 3 | 1904–1908
The Teton Sioux / The Yanktonai / The Assiniboin
Volume 4 | 1905–1908
The Apsaroke, or Crows / The Hidatsa
Volume 5 | 1905–1908
The Mandan / The Arikara / The Atsina
Volume 6 | 1900–1911
The Piegan / The Cheyenne / The Arapaho
Volume 7 | 1900–1910
The Yakima / The Klickitat / Salishan Tribes of the Interior / The Kutenai
Volume 8 | 1899–1910
The Nez Percés / Wallawalla / Umatilla / Cayuse / The Chinookan Tribes
Volume 9 | 1898–1912
Salishan Tribes of the Coast / The Chimakum / and the Quilliute / The Willapa
Volume 10 | 1914
The Kwakiutl
Volume 11 | 1915
The Nootka / The Haida
Volume 12 | 1900–1921
The Hopi
Volume 13 | 1923
The Hupa / The Yurok / The Karok / The Wiyot / Tolowa and Tututni / The Shasta / The Achomawi / The Klamath
Volume 14 | 1924
The Kato / The Wailaki / The Yuki / The Pomo / The Wintun / The Maidu / The Miwok / The Yokuts
Volume 15 | 1924
Southern California / Shoshoneans / The Diegueños / Plateau Shoshoneans / The Washo
Volume 16 | 1904–1925
The Tiwa / The Keres
Volume 17 | 1903–1925
The Tewa / The Zuni
Volume 18 | 1926
The Chipewyan / The Western Woods Cree / The Sarsi
Volume 19 | 1927
The Indians of Oklahoma / The Wichita / The Southern Cheyenne / The Oto / The Comanche / The Peyote Cult
Volume 20 | 1928
The Alaskan Eskimo / The Nunivak / The Eskimo of Hooper Bay / The Eskimo of King Island / The Eskimo of Little / Diomede Island / The Eskimo of Cape / Prince of Wales / The Kotzebue Eskimo / The Noatak / The Kobuk / The Selawik
Anhang
Biografie / Bibliografie / Bildernachweis / Impressum
Der Fotograf
Über 30 Jahre lang reiste der Fotograf Edward Sheriff Curtis (1868–1952) durch Nordamerika, um das Wesen und die Traditionen der indigenen Völker des Landes in Wort und Bild festzuhalten, während sich deren Zahl zusehends verringerte. Wie besessen arbeitete er an der Verwirklichung seines Lebenswerks, der Publikation The North American Indian. Zum Schluss umfasste das monumentale Œuvre zwanzig Portfolios und zwanzig Textbände mit über 2000 Aufnahmen.
Der Autor
Peter Walther hat zahlreiche Publikationen zu literarischen, fotografischen und zeitgeschichtlichen Themen herausgebracht, unter anderem Bücher über Goethe, Fontane, Thomas Mann, Hans Fallada und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg sowie einige illustrierte Werke mit historischen Farbfotografien. Er ist der Autor der Taschen-Publikationen The First World War in Colour (2014), New Deal Photography. USA 1935–1943 (2016) und Anna Atkins. Cyanotypes (2023).
Bibliografie
Edward S. Curtis‘ Portfolios über Nordamerikas indigene Völker
696 Seiten mit ca 1000 Abbildungen, Fadenheftung; Hardcover mit Schuber, Format 24,3 x 30,4 cm, Gewicht 2,68 kg, 2025
Ausgabe: Mehrsprachig (Deutsch, Englisch, Französisch)
Verlag Taschen, Köln
Preis: CHF 100 / EUR 100
ISBN 978-3-8365-9673-2
Das Buch kann im Buchhandel erworben oder direkt beim Verlag bestellt werden.